Baukultur, Handwerk und öffentlicher Personennahverkehr haben in Vorarlberg eines gemeinsam: eine lange Tradition. Aber wie kommen Namen wie Smiljan Radic, Wang Shu oder Sou Fujimoto in die 1000-Seelen-Gemeinde? Ganz einfach. Mit dem Bus.
Architekturprojekt BUS:STOP Bushaltestellen Krumbach
Für die Bewohner des Bregenzer Waldes ist der Bus mehr als nur ein öffentliches Nachverkehrsmittel. Er stellt vielmehr die Verbindung der alpinen Gemeinden mit der Außenwelt dar. Die Linie 25 des gelben Postbusses schlängelt sich rund 25 Kilometer lang vom Bregenzer Bahnhof aus über die Ortschaft Langen nach Krumbach, dann weiter über Hittisau bis Egg. Ein bis zwei Mal jede Stunde fährt der gelbe Landbus die Dörfer ab und ist damit eine der wichtigsten Verkehrsadern für Land und Leute. Und die traumhafte Vorarlberger Landschaft aus malerischen Bergen, Seen und Wiesen lädt ein, die Gegend zu erkunden und die Seele baumeln zu lassen. Allein in der Gemeinde Krumbach befinden sich sieben Bushaltestellen samt Wartehäuschen, von denen aus die Menschen ins Umland und zurück gelangen können. Als feststand, dass in Krumbach alle sieben Busstationen saniert werden mussten, entschloss sich die Gemeinde zu einem außergewöhnlichen Vorhaben.
Innovation statt Konvention
Statt einfach konventionelle Schutzhäuschen aus Holz oder Glas und Metall zu bauen, lud der Verein Kultur Krumbach im Jahr 2013 sieben Architekten aus sieben Ländern ein. Diese sollten gemeinsam mit je einem regionalen Architekturbüro „Buswartehüsle“ für das Dorf entwerfen. Entstanden sind verrückt bis skurril anmutenden Wartehäuschen, von denen keines dem anderen auch nur näherungsweise gleicht – die Bushaltestellen Krumbach. Wobei Wartehäuschen eigentlich der falsche Ausdruck ist. Vielmehr sind es sieben Statements für Design, Innovation und Weltoffenheit, die im Örtchen Krumbach in Form von Bushaltestellen ihren Kondensationspunkt gefunden haben. Ziel war es, die örtliche Mobilität mit Weltarchitektur zu verbinden und damit ein Statement gegen den Vorwurf des „unrentablen“ Busverkehrs zu setzen. Ebenso wollte man aber auch mal etwas Neues und Innovatives ausprobieren, statt immer nur althergebrachte Formen zu wiederholen. Entstanden ist dabei das Projekt BUS:STOP Krumbach mit seinen sieben „Wartehüsle“, das nur durch ein gemeinsames Miteinander der Architektenteams, lokaler Handwerker aber auch einer ganzen Reihe an ehrenamtlich Engagierten Bregenzern Realität werden konnte.
Gemeinsam stark
Im ländlichen Bregenzer Wald, wo Tradition noch groß geschrieben wird, nicht zuletzt im Bezug auf die Baukunst, war es jedoch besonders wichtig, alle Beteiligten zusammenzuführen, zu vermitteln und Informationsarbeit zu leisten. Nicht alle Anwohner waren von Anfang an überzeugt, genauso wie Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, der erst nach einiger Bedenkzeit für das Vorhaben begeistert werden konnte. Gemeinsam mit dem renommierten Vorarlberger Architektur Institut (vai) suchte man schließlich sieben unkonventionelle Architekturtalente, noch keine „Global Player“ in der Szene aber dennoch mit eigenständigen Konzepten und furchtlosen Ideen aus und lud sie ein, ihre Entwürfe zu präsentieren und umzusetzen. Eine beachtliche Leistung und Beharrlichkeit, die das 1000-Seelen-Örtchen Krumbach hier bewies. Architekten, Ehrenamtliche des Vereins kultur krumbach, ortsansässige Handwerker, sowie nicht zuletzt die Bürger schufen so in kongenialer Zusammenarbeit sieben kleine Architekturschätze. Zur Ausführung wurden ausschließlich Handwerksbetriebe aus dem lokalen Umfeld herangezogen. Zimmer-, Spengler, Malerarbeiten sowie die verwendeten Baumaterialien bilden den heimatverbundenen Counterpart zur weltoffenen Architektur.
Weltoffenheit trifft Tradition
So verschieden wie die Nationalitäten der Architekten, so unterschiedlich sind auch die Entwürfe und Umsetzungen der sieben Busstationen. Smiljan Radic aus Chile inszenierte für die Haltestelle „Zwing“ typische Bregenzer Wirtshauskultur in einem Schaukasten aus Glas. Drei rustikale Bauernstühle aus Holz dienen den Wartenden als Sitzgelegenheit, erlauben einerseits die Beobachtung der umliegenden Natur und machen die Insassen der Glasbox gleichzeitig zum Objekt. Für die Station Unterkrumbach Nord ließ sich Antón García-Abril und Débora Mesa vom Ensamble Studio aus Spanien von einem Sägewerk inspirieren. Unbehandeltes, in lange Scheiben geschnittenes Eichenholz schichteten sie zu einer dreiseitigen Einhausung mit quadratischer Grundform. Das Team ist bekannt dafür, Materialien bis an ihre Leistungsgrenze zu erproben. Eine trianguläre Form aus Metall bildet das „Hüsle“ für die Station Unterkrumbach Süd. Jan de Vylder Vinck Taillieu aus Belgien entwarf die geometrische Abstraktion, die nur von einer Türklingel unterbrochen wird. Verantwortlich für die Haltestelle Glatzegg zeichnete das Amateur Architecture Studio um Wang Shu und Lu Wenyu aus China. Eine Kamera Obscura öffnet sich als konischer Raum, mit einer Blickachse von der Berglandschaft auf die Straße und verbindet so die Idee von Mobilität mit der Sehnsucht nach Weite. Rintala Eggertsson Architects aus Norwegen ließen sich für die Station Kressbad vom nebengelegenen Tennisplatz inspirieren. Das Wartehäuschen, eine Holzkonstruktion, traditionell mit Schindeln verkleidet, fungiert gleichzeitig als metaphorische Tribüne. Alexander Brodsky aus Russland interpretierte für die Haltestelle Oberkrumbach einen Holzturm in der Art eines Hochsitzes, Tisch und Bank für die Wartenden ordnete er dem erhabenen Raum unter, von dem aus sich die Landschaft nach jeder Seite betrachten lässt. Und für die Station Bränden ließ Sou Fujimoto aus Japan Architektur und Natur neu miteinander verschmelzen: In einem Wald aus Stahlstangen windet sich eine Stiege nach oben. Hier finden Wartende zwar keinen Schutz vor Witterung, jedoch eröffnen sich völlig neue Dimension der Wahrnehmung von Ort, Raum und Natur. Als Gemeinschaftsprojekt hat BUS:STOP mit den Bushaltestellen Krumbach nicht nur Menschen zusammengebracht und ein kleines Stück Architekturgeschichte geschrieben, sondern ist gleichzeitig Sinnbild dessen, was die Region noch heute prägt: das Neben- und Miteinander von Gegensätzen: Mensch und Natur, Handwerk und Baukultur, sowie Tradition und Weltoffenheit.