Im Schweizerischen Rorschach wurde ein barrierefreier Bahnhofszugang der besonderen Art realisiert. Passanten überwinden das Höhenniveau mit einem Panoramalift, der eine grandiose Aussicht über den Bodensee bietet.
Das schweizerische Städtchen Rorschach liegt im Kanton St. Gallen, am südlichsten Punkt des Bodensees. Die malerische Seepromenade sowie das Alpenpanorama machen die Gemeinde zu einem beliebten Ausflugs- und Erholungsziel. Dementsprechend hat Rorschach auch drei Bahnhöfe, bei gerade einmal 9.000 Einwohnern. Direkt am Seeufer liegt der Hauptbahnhof auf dem Gelände eines ehemaligen Steinbruchs.
Um das unmittelbar südlich anschließende Wohngebiet sowie die Buslinie zu erreichen, mussten Passagiere bisher einen Höhenunterschied von 25 Metern überwinden, da durch die Steinbrucharbeiten das Bodenniveau tiefer lag. Entsprechend schwierig gestaltete sich auch der Zugang zum Bahnhofsgelände, Fußgänger mussten bislang einen längeren Weg in Kauf nehmen. Für gehbehinderte Passanten bedeutete dies ebenso Unannehmlichkeiten wie für eilige Reisende. Bereits in der Vergangenheit waren deshalb Forderungen nach einer Modernisierung der Infrastruktur um den Bahnhof laut geworden. Eine erste Studie erfolgte jedoch erst im Jahr 2007. Lift und Steg befand man als geeignetste Konstruktion, um einen schnellen und barrierefreien Zugang zum Bahnhof zu ermöglichen.
2009 entschied schließlich die Stadt, einen Wettbewerb auszuschreiben, aus dem der Entwurf von Architekt Alex Buob als Siegerprojekt hervorging. Aufgabe war es, das Wohnquartier hindernisfrei mit dem Bahnhof zu verbinden. Im September 2011 konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden, rund ein Jahr später, im Oktober 2012 war das Projekt fertiggestellt. Mit Baukosten von 2.200.000 Schweizer Franken, umgerechnet etwa 1.850.000 Euro, war das Projekt deutlich teurer als ursprünglich geplant. Jedoch stellten sowohl Gemeinderat, Bürgerversammlung als auch der Kanton Mittel für die Realisierung bereit.
Lift mit Ausblick
Um den Höhenunterschied von 25 Metern zwischen Bahnhof und Wohnquartier zu überwinden kam letztlich nur ein Lift in Verbindung mit einem Steg in Frage. Die Behörden befanden jedoch, dass eine gedeckte Passerelle ein höheres Sicherheitsgefühl sowie eine bessere Handhabbarkeit hinsichtlich Eis und Schnee gewährleisten würde. Der Stadtrat Rorschach ließ deshalb Buobs Entwurf entsprechend weiter ausarbeiten, um die Konstruktion noch benutzerfreundlicher und leistungsfähiger zu machen. Entstanden ist ein architektonisch zwar schlichtes aber dennoch beeindruckendes Infrastrukturgebäude aus Beton und Glas. Den Höhenunterschied überwindet ein Treppenturm der gleichzeitig den Lift beherbergt. Der zweigeteilte Schacht ist nach außen hin verglast, sodass Lift und Treppe sichtbar sind. Im 22 Quadratmeter großen Aufzug können 26 Passagiere in nur 14 Sekunden von Gehwegniveau hinab zum Bahnhof – oder umgekehrt – befördert werden.
Bewegungsfreudige Besucher nehmen stattdessen die Treppe, die sich als offene Stahlkonstruktion im Turm hinaufwindet. Von außen betrachtet bildet die reduzierte Fassade von Panoramaturm und Passerelle einen spannenden Kontrast zum klassizistischen Bahnhofsgebäude.
Oben im Turm angekommen betreten Reisende eine als Stadtbalkon ausgearbeitete Plattform. Sie kragt nach Norden über die Gleisanlagen aus und gibt den Blick auf den Bodensee samt umliegender Landschaft frei. Hier setzt die rund 45 Meter lange, freigespannte und plastisch geformte Passerelle an. Im Gegensatz zum statischen Turm schwingt sie frei zum Lift hin aus und verleiht der Konstruktion eine lebendige Dynamik. Die geschwungene Öffnung zur Stadt hin ist als durchlaufendes Band konzipiert und erlaubt eine freie Sicht nach Westen.
Gen Osten ist die Fassade geschlossen, jedoch wurden einzelne Öffnungen in unterschiedlichen Höhen eingearbeitet, die großen und kleinen Passanten einen grandiosen Ausblick über die nahen Baumkronen des Parks freigeben.
Spannungsvolles Tragwerkskonzept
Insgesamt umfassen Turm und Passerelle eine Kubatur von 1.378 Kubikmetern. Südseitig befindet sich das Widerlager für den Steg. Westlich wird das Tragsystem von einer Brüstung gebildet, die in einer Krümmung in Richtung Turm verläuft. Ostseitig besteht das Tragsystem aus einer Wandscheibe mit diversen Öffnungen. So ergibt sich eine trogartige Konstruktion, deren unterschiedlichen Verformungstendenzen mit einer Anordnung von Vorspannkabeln entgegengewirkt werden. Im Überbau wurde auf Tragelemente zur Torsionsaufnahme verzichtet. Hier müssen die Stabilitäts- und Ablenkkräfte über die Rahmenwirkung des Querschnitts aufgenommen werden, sodass sich eine gegenseitige Beeinflussung der Längsträger ergibt.
Der Aufzug- und Liftturm ist am Fuß fest im Fels eingebunden und übernimmt damit die Wind- und Erbebenkräfte der Gesamtanlage. Der rund 30 Meter hohe Treppen- und Liftturm sowie die über rund 40 Meter freigespannte Passerelle wurden überwiegend in Ortbeton ausgeführt. Nur die Nordseite des Turms und das Balkongeländer sind verglast. Der Turm wurde mit einer Kletterschalung erstellt während zur Herstellung des Steges vorgängig ein Lehrgerüst installiert wurde. Der Bau ist von sauber ausgerichteten Tafelschalungselementen geprägt. Der Beton wurde absichtlich nicht eingefärbt und verleiht der Konstruktion ein rauhes aber dennoch filigranes Erscheinungsbild. So trutzt das Gebäude nicht nur Wind und Wetter sondern ermöglicht nun Bewohnern und Reisenden einen barrierefreien und dabei äußerst spektakulären Zugang zum Rorschacher Hauptbahnhof.